Lovestory

Ein rhythmisches Klopfen brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Meine Augen begannen wieder, die Umgebung um mich herum wahrzunehmen. Ich saß im Seminarraum, wo Professor Niederotto vor wenigen Sekunden seine Vorlesung über Software-Ergonomie beendet hatte. Um mich herum wurde der Beifall mit den Fingerknöcheln auf die Tische geklopft, wie es an der Uni halt so üblich ist. Ich erkannte, dass ich mindestens die letzen 30 Minuten der Vorlesung nicht mehr mitbekommen hatte, weil ich mit meinen Gedanken ganz woanders war.

Normalerweise trat ich während einer Vorlesung nicht so einfach weg - insbesondere nicht bei Professor Niederotto, da er es immer wieder verstand, den Stoff unterhaltsam rüberzubringen. Außerdem war Software-Ergonomie mein Studienschwerpunkt, in dem ich auch meine Diplomarbeit schreiben wollte, und es macht sich nun mal nicht wirklich gut, bei seinem potentiellen Betreuer in der Vorlesung einzuschlafen.

Zum Glück saß ich ganz hinten und nicht wie sonst im vorderen Drittel. Ich hatte vorige Nacht wieder einmal schlecht geschlafen und war generell in den letzten paar Wochen eher neben der Spur, dank Michael. Und wer jetzt kombiniert, dass ich, Peter Claussen, 25 Jahre alt und Student der Informatik, schwul bin, weil ich wegen einem anderen Kerl neben der Spur bin, erhält 99 Punkte. Noch einen weiteren Punkt, und es gibt die freie Auswahl bei den Waschmaschinen!

Auf dem Weg von der Uni nach Hause ging mir wieder einmal durch den Kopf, wie ich Michael kennen gelernt, mich in ihn verliebt und ihn dann für mich vollkommen überraschend wieder verloren hatte. Ich hatte ihn vier oder fünf Monate zuvor kennen gelernt, und auch wenn wir nur zwei Monate lang zusammen waren, konnte ich ihn einfach nicht vergessen. Die Gefühle waren immer noch sehr frisch und auch sehr intensiv. Es tat verdammt weh.

Zu Hause angekommen, schloss ich die Tür auf und pfefferte meinen Rucksack schlecht gelaunt in die nächstbeste Ecke. Zum Glück war endlich Freitag, also war ab sofort Wochenende ohne weitere Vorlesungen und ohne meinen Job, den ich neben dem Studium auch noch hatte. Ich goss mir einen Saft ein und ließ mich aufs Sofa fallen. Mein Blick fiel auf den Kalender an der Wand über dem Schreibtisch. Ein Datum war rot eingekreist, es war der aktuelle Tag: Volleyballturnier in Delft. Auch das noch, dachte ich. Ich hatte überhaupt keine Lust, jetzt Abermillionen von Kilometern zu fahren und das Wochenende über Volleyball zu spielen. Aber ich hatte Kai und Ludger zugesagt, sie in meinem Auto mitzunehmen. Eine Krankheit vorzuschieben und zuhause zu bleiben war also nicht möglich.

So schön es normalerweise auch war, in einem schwulen Sportverein Volleyball zu spielen und entweder in eine andere Stadt zu einem Turnierwochenende zu fahren oder aber selber ein Turnierwochenende auszurichten und Mannschaften aus anderen Städten einzuladen, neue Leute kennen zu lernen, andere Städte zu sehen - an diesem Tag war mir absolut nicht danach, ich hätte mich viel lieber zuhause vergraben. Aber wie heißt es bei uns im Norden so schön: Wat mutt, dat mutt.

Ich riss mich also zusammen und schaute auf die Uhr. Es war kurz vor eins, und schon in einer Stunde wollte ich die anderen beiden aufsammeln, um dann gemeinsam weiter zum Turnier zu fahren. Ich stöhnte verärgert auf und ging zum Kleiderschrank. Meine Tasche hatte ich schnell gepackt. Ich holte rasch noch Kai und Ludger ab, dann ging es auf die Autobahn nach Holland. Die Fahrt war nett - Kai und Ludger waren gut drauf, und das hatte mich bald angesteckt. Außerdem fahre ich gerne Auto, und ich liebte meinen Honda Civic nahezu abgöttisch. Lachend und scherzend erreichten wir Delft so gegen 21:30. Das Schwulenzentrum, wo wir uns melden sollten, um unsere Gastgeber kennen zu lernen, befand sich in der Innenstadt. Delft ist übrigens eine wirklich schöne Stadt: Kleine alte Häuser aus dunkelrotem Backstein mit weißen Sprossenfenstern und weißen Stuckverzierungen, enge Straßen mit Kopfsteinpflaster, Kanäle mit kleinen Brücken darüber. Mir gefiel die Stadt auf Anhieb.

Kai und ich kamen gemeinsam bei einer sehr netten Lesbe unter, die uns ihr eigenes Schlafzimmer zur Verfügung stellte und selber auf der Gästecouch schlief. Ich war froh, dass ich zwei Flaschen guten Rotwein als Gastgeschenk mitgenommen hatte, so viel herzliche Gastfreundschaft hatte ich bei Gastgebern auf Turnieren noch nie erlebt. Anna - so hieß unsere Gastgeberin - meinte dann auch prompt, wir sollten den Wein trinken, bevor er schlecht wird, und sie könne schnell noch ein paar Spaghetti in den Topf werfen - nix besonderes, aber wir hätten doch sicher Hunger? Den hatten wir, und Anna verschwand in der Küche.

Zwei Stunden später saßen wir satt und zufrieden mit der zweiten Flasche Rotwein am Tisch und quatschen über Gott und die Welt. Zu essen gab es übrigens Spaghetti Bolognese, und auch wenn Anna meinte, das wäre nichts besonderes: So gut wie ihre Bolognese war keine, die ich jemals gegessen hatte. Auf meine Frage, wie es denn erst schmecken würde, wenn sie etwas besonderes kochen würde, grinste sie nur. Sie schien sich auch über mein satt und zufrieden geschmatztes Kompliment zu freuen, sie könnte ruhig ihr eigenes Restaurant aufmachen, so gut wie es bei ihr schmecken würde.

Wir blieben nach dem Essen einfach am Tisch sitzen und unterhielten uns über alles mögliche - Politik, Musik, Männer, Frauen, Beziehungen... Ich musste wieder an Michael denken und merkte plötzlich, wie Anna mich fragend ansah. Meine trüben Gedanken zum Thema Beziehungen musste man mir wohl mehr als deutlich angesehen haben. Auch Kai schien es bemerkt zu haben.

»Peter versinkt seit Wochen in seinem Liebeskummer«, meinte er zu Anna.

»Kai!«, zischte ich ihn böse an.

»Stimmt aber doch. Und irgendwann muss das auch mal wieder vorbei sein. Oder soll das ewig so weiter gehen?«, kam es zurück.

»Was ist denn passiert, Peter?«, fragte Anna mit ihrer warmen Stimme und schaute mich mitfühlend an.

»Michael ist passiert!«, seufzte ich. »Stimmt schon, Kai hat eigentlich Recht. Die Geschichte ist jetzt schon länger vorbei, als diese 'Beziehung' überhaupt gedauert hat«, meinte ich. Anna schaute mich immer noch fragend an....

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