Lovestory V

Hast du eigentlich einen Freund?«, fragte Pierre mich irgendwann. Ich schüttelte den Kopf und seufzte dabei so, dass Pierre merken konnte, dass ich darüber nicht sprechen wollte. »Ich merke schon - anderes Thema. Wieso hast du eigentlich zwei Spiele ausgesetzt, und das ausgerechnet in der letzten Runde?«, fragte er als nächstes. Er konnte es ja nicht wissen, aber innerhalb einer Minute hatte er auch noch meinen zweiten Knopf für schlechte Laune gedrückt.

»Ach, irgendein Blödmann hat mir einen Ball gegen den Kopf geknallt und Kai meinte, ich sollte lieber erst einmal aussetzen, wegen Gehirnerschütterung oder so. Lass uns über was anderes reden, den Idioten würde ich gerne vergessen«, meinte ich nur und wechselte das Thema: »Welchen Platz habt ihr eigentlich gemacht?«

Wir plauderten die nächste halbe Stunde über Gott und die Welt, als Kai mich vorsichtig antippte: »Du hast heute Nacht das Bett für dich - mach was draus«, grinste er mich frech an: »Wir sehen uns morgen beim Brunch, ich geh mit Francois weg.« »Francois? Wersndas?«, wollte ich wissen. »Nummer 5!!!!«, antwortete er empört, als ob alle Welt das wissen müsste. »Na dann viel Spaß!«, wünschte ich ihm und drehte mich wieder zu Pierre und Michel zurück, um mich weiter mit ihnen zu unterhalten.

Kurze Zeit später hörte ich ein leises »Entschuldigung...« hinter mir. Ich drehte mich um und schaute in ein eigentlich recht hübsches Gesicht mit großen rehbraunen Augen. Der Typ, zu dem dieses Gesicht gehörte, sah irgend wie schüchtern, vielleicht sogar verängstigt aus. Er hatte braune Haare, eine langweilige Frisur und brachte definitiv einige Kilos zu viel auf die Waage. Zu blöd für ihn, dachte ich, denn seine rehbraunen Augen waren wirklich zum Verlieben. Fast wie die Augen von Michael - und als ich an Michael dachte, der mich verlassen hatte und an Kai, der hier im Gegensatz zu mir wieder einmal jemanden kennen lernte, und dazu noch so ein Sahneschnittchen, war ich sofort wieder gefrustet.

»Ja?«, erwiderte ich genervt und zog meine Stirn fragend nach oben. »Ich wollte mich noch einmal bei dir entschuldigen«, sagte er. »Wieso das denn?«, fragte ich ahnungslos und schaute ihn genauer an. »Na wegen dem Ball«, antwortete er zaghaft. »Immerhin hast du danach nicht mehr gespielt. Ist alles mit dir in Ord...« Genau in diesem Augenblick passierten zwei Dinge gleichzeitig: Ich wusste plötzlich, dass er die rot-schwarze 6 war, und er bekam von hinten einen Stoß, so dass die Cola aus seinem Glas auf mein Shirt schwappte.

Ich sah die Cola wie in Zeitlupe auf mein Lieblingshemd platschen und rastete bei dem Anblick total aus: »Oh Gott! Nachdem das vorhin in der Halle mit dem Erschießen nicht geklappt hat, versuchst du es jetzt wohl mit Ertränken, oder was?«, fuhr ich ihn an. Er schaute auf die braune Flüssigkeit, die langsam mein weißes Shirt herab sickerte, sah mir mit weit aufgerissenen Augen ins Gesicht und wurde knallrot. Eisig starrte ich zurück. »Du bist echt ein Trampel, weißt du das? Jemand wie du dürfte eigentlich gar nicht frei rumlaufen!«, giftete ich ihn an. Seine Lippe fing an zu zittern, und ruckartig drehte er sich um und verschwand so schnell wie nur möglich. Ich schaute auf die Uhr und beschloss, zurück zu Anna zu gehen, das Shirt einzuweichen und zu hoffen, dass der Fleck sich rauswaschen ließ. Ich verabschiedete mich rasch von Pierre und Michel und verschwand.

Am nächsten Morgen traf ich Kai beim Brunch. Er strahlte mich an: »Na, auch eine schöne Nacht gehabt?« »Von wegen schöne Nacht«, nörgelte ich. »Dieser Idiot hat mir doch tatsächlich Cola auf mein Shirt gekippt. Hoffentlich geht der Fleck wieder raus.« »Welcher Idiot?«, wollte Kai wissen. »Genau das selbe Pummelchen, das mir beim Spiel den Ball gegen den Kopf gepfeffert hat«, antwortete ich.

Kai lachte nur: »Zufälle gibt's, die gibt's nicht. Komm, lass uns zum Buffet gehen, ich habe Hunger!« »Kein Wunder. So wie ich dich kenne, hast du heute Nacht mehr Kalorien verbrannt als gestern auf dem Spielfeld«, lästerte ich, während ich meinen Teller füllte. Auf dem Weg zum Tisch meinte ich, ein oder zwei böse Blicke in meine Richtung zu spüren, tat das aber als Einbildung ab.

Nach dem Brunch gingen Kai und ich gemeinsam zu Annas Wohnung, um in Ruhe unsere Sachen zu packen und mit Anna noch einen Kaffee zu trinken, bevor wir uns auf den Weg nach Hause machten. Anna ließ sich von uns die Ereignisse der letzten Nacht schildern. Kai fing an. Als er fertig war, imitierte sie die Szene aus Ally McBeal, in der Nelle und Coretta sich als Nieser getarnte Gemeinheiten an den Kopf werfen: »Flittchen!«, nieste sie Kai grinsend entgegen. »Man tut, was man kann«, erwiderte er, ebenfalls grinsend.

»Und wie war dein Abend, Peter?«, fragte sie mich.

»Ich habe mich mit Pierre und seinem Freund Michel unterhalten. Auf Französisch scheint diese Kombination ja gut zu funktionieren, auf Deutsch wie bekannt leider nicht«, spielte ich auf mein Fiasko mit Michael an. »Der Abend war auch ganz nett, bis mir dieser Blödmann Cola aufs Shirt geschüttet hat.«

»Ach herrje, erst bekommst du den Ball an den Kopf und dann passiert auch noch so etwas«, bedauerte Anna mich.

»Ja, und es war sogar noch der selbe Kerl«, ergänzte ich.

»Erzähl mehr, wir wollen Details!«, forderte Anna mich neugierig auf.

»Na ja, er kam zu mir und wollte sich noch einmal für den Ball entschuldigen..«, fing ich an, als mir aufging, dass ich ihm gegenüber wohl reichlich unhöflich gewesen war - vorsichtig formuliert, die Wahrheit lautete wohl eher, dass ich mich wie der letzte Mensch aufgeführt hatte.

»Na ja, dann hat ihn jemand von hinten angerempelt und seine Cola schwappte auf mein Shirt. Und ich hatte nichts Besseres zu tun, als ihn deswegen zusammenzufalten«, beendete ich meine Erzählung kleinlaut, als ich mich daran erinnerte, wie seine Lippe gezittert hatte. Scheiße, der wird doch wohl nicht etwa geheult haben? Schnell verdrängte ich mein schlechtes Gewissen in die allerhinterste Ecke. »Egal, so wie der gespielt hat, werden wir ihn garantiert nicht wiedersehen, den nehmen die sicher nicht noch einmal mit auf ein Turnier«, meinte ich nur und beschloss, nicht mehr darüber nachzudenken.

Der Abschied von Anna war herzlich. Wir tauschten Adressen und Telefonnummern aus und versprachen uns, in Kontakt zu bleiben. Anna und ich telefonierten danach in der Tat regelmäßig, und mit der Zeit entwickelte sich zwischen uns ein wirklich netter Kontakt. Wir haben uns sogar ein paar Mal gegenseitig besucht und ich lernte auch ihre Freundin Lisa kennen. Daher fragte ich auch sofort bei Anna nach, ob ich wieder bei ihr schlafen könnte, als im nächsten Jahr erneut ein Volleyballturnier in Delft stattfand. Selbstverständlich war das überhaupt kein Problem. Sie kicherte: »Schließlich hast du dich das letzte Mal ja nicht volllaufen lassen und ins Bett gekotzt.«

»Hä, wieso? Ist dir das schon mal mit einem Gast passiert?«, fragte ich sie.

»Nein, aber letztes Jahr ist das tatsächlich passiert. Das muss ziemlich peinlich für denjenigen gewesen sein«, erwiderte sie und ergänzte: »Der betroffene Gastgeber ist dieses Jahr auch 'zufällig' unpässlich und kann 'leider' keine Gäste aufnehmen.« Das konnte ich verstehen, mir würde es nach so einer Erfahrung nicht anders gehen.

Anna fragte noch, ob Kai in diesem Jahr ebenfalls mitkäme, was ich bejahte. Sie lud ihn dann sofort ein, ebenfalls bei ihr zu übernachten. Ich sagte für Kai einfach mal zu, und natürlich war das in Ordnung, wie er mir später versicherte. Auch Kai hatte Anna in guter Erinnerung behalten.

Auch in diesem Jahr fuhr Kai also wieder mit mir nach Delft, und als dritten Mann hatten wir diesmal Rainer im Auto. Ach ja, nur für die Akten: Die Geschichte mit Michael hatte ich inzwischen endgültig verarbeitet. Professor Niederotto hatte außerdem in der Woche vor dem Turnier zugesagt, meine Diplomarbeit zu betreuen. Und während der Fahrt schien auch noch die Sonne - ich hatte die ganze Zeit über verdammt gute Laune und freute mich wahnsinnig auf das Wochenende. Vielleicht würde ich ja zur Abwechslung sogar mal jemand Nettes kennen lernen, hoffte ich.

Wie schon im letzten Jahr trafen wir gegen 21:30 an der Sammelstelle an, wo wir Rainer abluden. Anna wollte nur zwei Leute aufnehmen, aber Rainer meinte, es wäre für ihn kein Problem, ohne Kai und mich woanders zu übernachten. Und als er dann seinem Gastgeber vorgestellt wurde, war es erst recht kein Problem mehr, der sah nämlich Rainers Traumprinzen verdammt ähnlich. Kai und ich grinsten uns jedenfalls einfach nur an, als wir Rainer beobachteten, wie er abwechselnd rot und dann wieder blass wurde, als sein Gastgeber ihn zur Begrüßung umarmte. Wir verabschiedeten ihn mit einem »Schlaf gut - oder besser, gute Nacht, wer weiß, ob du zum Schlafen kommst...« sowie einem anzüglichen Grinsen. Ein gestöhntes »Wer Freunde wie euch hat, braucht keine Feinde mehr!« war unser Lohn dafür.

Wir fuhren weiter zu Anna, die uns nicht abholen musste - den Weg kannte ich inzwischen schon, schließlich fuhr ich nicht das erste Mal zu ihr. Anna und ich fielen uns zur Begrüßung gleich um den Hals, und auch Kai wurde von ihr aufs herzlichste begrüßt.

»Komm in die Küche und hilf mir, Lisa kommt gleich mit ihrem Besuch zum Essen vorbei«, forderte Anna mich auf. Dieser Aufforderung folgte ich nur zu gerne, denn auch wenn ich im Verlauf des letzten Jahres schon viel von Anna gelernt hatte, so machte mir das gemeinsame Kochen mit ihr immer wieder tierisch Spaß, und ich lernte jedes Mal etwas Neues dazu.

Als es kurz danach klingelte, blieb ich in der Küche, während Anna ihre Freundin und deren Gast einließ und ins Wohnzimmer brachte. Durch die offene Tür konnte ich hören, wie Kai, Lisa und Lisas Gast sich prächtig amüsierten. Ich war neugierig, was für einen Gast Lisa hatte. Er schien dem ersten Eindruck nach in Ordnung zu sein - soweit das halt vom Hören her beurteilt werden konnte.

Ich deckte den Tisch, und Anna holte die anderen ins Esszimmer. Lisa kannte ich schon, und hinter Kai trat ein verdammt gut aussehender Mann meines Alters ins Zimmer: Sportliche Figur, leichte Sonnenbräune, ungefähr meine Größe, dunkelbraune Haare mit blonden Strähnchen, die mit Gel zu einem strubbeligen Igel frisiert waren, Dreitagebart, leichte Segelohren, braune Augen, dazu ein freundliches, offenes Gesicht, das mir recht gut gefiel - ich fand ihn sofort megasüß. Irgendwie kam er mir bekannt vor, allerdings konnte ich ihn nirgendwo einordnen.

Er schien ein wenig schüchtern zu sein, dachte ich, als er zögernd in der Tür stehen blieb. Ich lächelte ihn freundlich an und streckte ihm meine Hand entgegen: »Hallo, ich bin Peter. Und wer bist du?« »Ma... Manuel«, kam es zurück. »Setzt euch, das Essen wird sonst kalt!«, beendete Anna unsere Vorstellung und schob uns beide zum Tisch.

Wir fingen an zu essen, und schnell waren Anna und ich in ein lustiges Geplänkel über Kochkünste im Allgemeinen und meine im Speziellen verstrickt, bei dem auch Kai und Lisa ein paar Anekdoten einstreuten - ja, auch die Pizza-Geschichte wurde selbstverständlich wieder aufgewärmt und auf den Tisch gebracht. Manuel konnte bei diesen Themen natürlich nicht so sehr mitreden, aber als wir zu anderen Themen kamen, war auch er rege am Gespräch beteiligt. Ich fand ihn sympathisch, mochte seine intelligenten Kommentare ebenso wie seine gelegentlichen ironischen Bemerkungen, und seine warme angenehme Stimme wurde geradezu gierig von meinen Ohren aufgesogen.

Schon bald war Manuel für uns kein Fremder mehr, sondern voll in unsere kleine Gruppe integriert. Er scherzte mit Anna und Lisa und ließ sich auch ein wenig auf Kais Flirterei ein, nur mir gegenüber blieb er irgendwie ein wenig reserviert. Zwar hatte ich gelegentlich den Eindruck, dass Manuel mich verstohlen ansah, aber da mochte ich mich auch getäuscht haben. Sicher war aber, dass Kai ihn ziemlich unverhohlen ansah. Anscheinend gefiel Manuel ihm, und ehrlich gesagt, mir gefiel Manuel auch.

Inzwischen waren wir beim Nachtisch angekommen, als Anna mich plötzlich fragte: »Hast du eigentlich inzwischen jemanden kennen gelernt?«

»Nee, noch nicht. Und ich weiß auch nicht, ob ich das so schnell will. Ich sage nur: Michael... Bin ich froh, dass ich darüber endlich hinweg bin. Erinnerst du dich noch, wie ich letztes Jahr von der Rolle war?«

»Oh ja, nur zu gut. Hattest du nicht damals jemanden zusammen gefaltet, weil er aus Versehen Cola auf dein Shirt geschüttet hat?«, fragte Anna.

»Erinnere mich bloß nicht daran«, seufzte ich. »Ich habe mich dem armen Kerl gegenüber wie der letzte Idiot benommen. Hoffentlich muss ich dem nicht noch einmal unter die Augen treten. Da wäre dann auf jeden Fall eine Riesenentschuldigung fällig«, stöhnte ich.

»Erzähl mal, was war denn letztes Jahr passiert?«, fragte Manuel mich plötzlich.

Ich erzählte ihm kurz von meiner Affäre mit Michael und den Schwierigkeiten, die ich damit hatte, dass er plötzlich Schluss gemacht hatte. Manuel hörte mir die ganze Zeit aufmerksam zu und ließ mich nicht aus den Augen. »Während des Turniers knallt mir dann jemand aus Versehen einen Ball an den Kopf«, redete ich weiter. »Ich hab das arme Schwein einfach nur angebrüllt. War echt nicht die feine Art. Na ja, und abends bei der Party kam er sogar noch mal vorbei und wollte sich entschuldigen. Genau in dem Moment rempelt ihn jemand an, er schüttet seine Cola auf mein Shirt und ich falte ihn erneut zusammen. Er hat mich dann einfach stehen lassen. So wie ich mich aufgeführt hatte, kann ich froh sein, dass er mir keine gescheuert hat.« Dass ich den Eindruck hatte, diesen armen Kerl fast zum Heulen gebracht zu haben, verschwieg ich lieber, ich kam in der Geschichte eh nicht allzu gut weg.

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