Lovestory IX

Mehr als eine Viertelstunde lang versuchte ich mir auf das eben Geschehene einen Reim zu machen. Ich konnte zumindest für mich feststellen, dass ich Manuel immer noch äußerst anziehend fand. Das bewiesen sowohl meine aufkommende Erektion als auch das spontan geäußerte und, wie ich mir gegenüber zugeben musste, ehrlich gemeinte Angebot, ihm einen zu blasen. Außerdem war Manuel ein verdammt guter Volleyballspieler geworden, und seine schlagfertige Bemerkung, als mein Gesicht gegen seine Beule stieß, war erste Sahne, die hätte auch von mir kommen können. Und wieso eigentlich wollte er 'im Augenblick' keinen Blow Job von mir? Hieß das, er würde im Prinzip schon gerne wollen? Ich schüttelte ratlos den Kopf und beschloss, zurück in die Halle zu gehen. Vielleicht hatte ich ja wenigstens noch genug Zeit, etwas zu essen. Vorher kontrollierte ich aber, dass meine beiden Schuhbänder ordnungsgemäß geschlossen waren.

Die Mittagspause war zum Glück noch nicht vorbei, und das Essen war auch noch nicht ausverkauft. Mit Würstchen und Kartoffelsalat in der Hand schlenderte ich zur Information, um nachzusehen, wie wir abgeschnitten hatten. Angesichts unserer dünnen Personaldecke und den daraus resultierenden Problemen war ich nicht sonderlich überrascht, dass wir in unserer Gruppe bloß letzter geworden sind. Langsam ging ich zurück zu meiner Mannschaft.

»Was war das denn vorhin für eine Aktion?«, wollte Holger wissen. »Erst bespringst du diese Sahneschnitte, dann umarmt ihr euch eine Ewigkeit und zum Schluss wolltest du ihm anscheinend noch einen blasen!? Flittchen!«, grinste er mich an und fügte hinzu: »Ich beneide dich...«

»Tu's lieber nicht«, seufzte ich. »Ich bin über ein offenes Schuhband gestolpert, direkt in Manuels Arme. Und als ich mein Schuhband wieder schließen wollte, bin ich zur Krönung noch mit meinem Gesicht an seinen Schwanz gestoßen.« Mir fiel in dem Augenblick auf, dass dieser nicht so weich war, wie er es eigentlich hätte sein sollen. Ich verscheuchte den Gedanken aber so schnell wie möglich, da er mich noch mehr verwirrte.

»Du weißt sogar schon, wie er heißt?«, rief Holger erstaunt aus. »Holla, das ging aber schnell!«, legte er mit einem anzüglichen Grinsen nach.

»Quatsch, ich kenne ihn aus Delft. Hat bei Annas Freundin übernachtet, und wir haben bei Anna zusammen gegessen«, erzählte ich ihm - nun, es war keine Lüge, aber bei weitem auch nicht die ganze Wahrheit. »So, und nun schnapp dir einen Ball, wir spielen uns ein«, ließ ich den Trainer raushängen, um weiteren Kommentaren oder gar Fragen aus dem Weg zu gehen.

Auch wenn Rainer seinen lädierten Finger mit Tape an einen anderen gewickelt hatte und wieder fast normal spielte, war bei uns allen die Luft raus. Einen ganzen Tag ohne Auswechselspieler durchzuhalten ist schon anstrengend genug. Wenn dann noch ein Spieler mehr oder weniger ausfällt, wird es mörderisch. Wir wurden daher nur vierter - vierter von hinten. Dafür hatte Manuels Mannschaft verdientermaßen den ersten Platz gewonnen. Ich stand beim Endspiel direkt am Spielfeld und feuerte sein Team an, was das Zeug hielt. Aber so gut wie Manuels Team und auch er selbst spielten, hätten sie auch ohne ihre begeisterten Fans gewonnen.

Nach der Siegerehrung wühlte ich mich durch die Menschenmengen, bis ich neben Manuel stand, und gratulierte ihm zum Sieg. »Wenn du möchtest, nehme ich dich gleich wieder mit«, bot ich ihm danach an, »Du scheinst ja in der selben Gegend untergekommen zu sein wie ich.« Er sah mich überrascht an. Eine Weile musterte er mich, ohne ein Wort zu sagen. »Einverstanden«, antwortete er schließlich. »Okay, dann treffen wir uns an der Hallentür«, schlug ich vor. »Gut, können wir machen«, stimmte er meinem Vorschlag zu und verschwand in einem anderen Umkleideraum.

Ich zog mich schnell um und beeilte mich unter der Dusche, ich wollte Manuel auf gar keinen Fall warten lassen. Keine zehn Minuten später stand ich an der Hallentür und wartete. Und wartete. Und wartete...

Ich sah wieder einmal auf die Uhr: Schon mehr als eine Viertelstunde war vergangen, seit ich hier stand. Ich überlegte, wie lange ich noch warten wollte, ob ich vielleicht einfach mal in den Umkleideräumen nachsehen sollte. Endlich, mehr als 20 Minuten nach mir, kam er zusammen mit jemand anderem von seiner Mannschaft aus einem Umkleideraum. Als Manuel mich sah, beugte er sich zu dem anderen rüber und sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Der andere schüttelte den Kopf und schien darauf zu antworten. »... wissen, was du tust. ... alt genug.« waren die Bruchstücke, die ich verstehen konnte, als die beiden langsam näher kamen.

»Wartest du schon lange?«, fragte Manuel, als er mich erreichte. »Ein paar Minuten«, spielte ich die Wartezeit herunter. Er sah mich scharf an, sagte aber nichts weiter. Wir gingen zum Auto, stiegen ein und fuhren los.

»Du hast wirklich gut gespielt!«, lobte ich ihn. Er sah mich überrascht, aber auch erfreut an: »Danke!«

Schweigend fuhren wir weiter. Manuels und meine Umarmung ging mir wieder und wieder durch den Kopf. Zu gerne hätte ich mit ihm darüber gesprochen, da ich mehr und mehr zu der Erkenntnis kam, dass ich ganz offensichtlich immer noch in Manuel verliebt war. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass ich ihm vielleicht auch nicht ganz gleichgültig war. Ein Spaziergang am Strand könnte uns vielleicht einander näher bringen, dachte ich und atmete tief durch.

»Wusstest du, dass Den Haag direkt am Meer liegt?«, begann ich vorsichtig.

»Nein, das wusste ich nicht«, antwortete er überrascht.

»Der Strand hier ist wunderschön«, legte ich den Köder aus.

Er schaute mich einen Moment lang nachdenklich an. »Wirklich? Ich liebe den Strand«, meinte er schließlich, »Ich gehe gerne am Meer spazieren.«

Ich jubelte innerlich, mein Plan schien aufzugehen. »Ich auch«, sagte ich, »Am liebsten gehe ich barfuß, so dass die Wellen um meine Füße spielen können.«

Manuel schaute auf die Uhr im Armaturenbrett. »Es ist eigentlich noch recht früh«, stellte er fest und sah mich wieder nachdenklich an. Ich beschloss, jetzt alles auf eine Karte zu setzen.

»Wollen wir zum Strand?«, fragte ich ihn. Jetzt gab es kein zurück mehr. Ich merkte, wie mein Magen sich verkrampfte. Ich hoffte, er würde ja sagen.

»Gerne!«, bekam ich als Antwort. Ich stellte erleichtert fest, dass es nicht unbedingt ein Ja sein musste, ein Gerne konnte ich zur Not ebenfalls akzeptieren.

Da wir noch nicht allzu lange unterwegs waren, befanden wir uns immer noch im Zentrum von Den Haag. Ich wusste von einem früheren Volleyballturnier noch so ungefähr, wo der Strand lag und bog bei der nächsten Möglichkeit in die richtige Richtung ab. Nach einer Viertelstunde erreichten wir den Parkplatz beim Strandpavillon, wo am nächsten Tag der Brunch stattfinden würde. Ich stellte den Wagen ab und wir stiegen aus.

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